Mit Astrid unterwegs – ein Fallbeispiel

Astrid ist Lastwagenchauffeuse und fährt mit einem 3-achsigen Euro5-26-Tönner mit Schlafkabine für einen Fuhrhalter aus einem Berner Vorort.

Astrid transportiert Stückgut und Nahrungsmittel, sie kann ca 12 Tonnen zuladen.

Astrid fährt einen 3-Achser, weil sie oft ins Bündnerland muss, und bei Schnee sind Anhängerzüge und Sattelschlepper über die Pässe verboten.

An einem Donnerstag im Oktober hatte sie einen Auftrag, der sie zuerst nach St. Moritz und am Tag darauf nach Genf und zurück in den Vorort von Bern führte.

Ihr Chef ist ein sparsamer Fuhrhalter, er will möglichst wenig Nationalstrassengebühren (LSVA) bezahlen. Die Angaben für die günstigsten Routen findet er jeweils auf der Homepage des Bundesamts für Strassen Astra unter https://www.astra.admin.ch – Truckinfo > Routing-Schwerverkehrsrouten.

Mit diesen Angaben startet Astrid nach einer Nacht in der Schlafkabine um 06:00 Uhr in St. Moritz, sie hat einen langen Tag vor sich und will übers Wochenende zu Hause sein.

Astrid hat zwei Routen zur Auswahl.

  1. St.Moritz > Vereinatunnel > Landquart > Genf 437km, Fahrzeit 5Std 59 Min. plus die Warte- und Verladezeit in Sagliains, plus die Bahnfahrt durch den Tunnel 18 Min.

Wenn sie Glück hat, erreicht sie den Zug von 06:50 ab Sagliains.

Der Bahntransport für einen 26 Tönner kostet 145.00 CHF

  • St. Moritz > Julierpass N29> Tiefencastel > Chur > Genf 442km, Fahrzeit 6 Std 09 Min.

Das sind zwar 5 km mehr als durch den Vereina, kostet 3.50 CHF mehr LSVA, aber dafür spart man die Bahnkosten von 145.00 CHF

Astrid wählt die Fahrt über den Julierpass auf der N29 (Nationalstrasse 3. Kategorie Silvaplana – Thusis). Sie freut sich immer auf die Passfahrt.

In Tiefencastel auf 851 müM stutzt sie ein erstes Mal: Der Routenplan dirigiert Astrid weg von der N29 und über die H3 hinauf auf die Lenzerheide (Anstieg auf 1556 müM bei 10% Steigung).

Vor Chur könnte sie geradeaus in Richtung Chur-Süd auf die N13, aber Truckinfo schickt sie quer durch die Stadt zum N13-Anschluss Chur-Nord.

Weshalb? – Auf der Astra-Karte fehlt die Verbindung N29 von Tiefencastel nach Thusis… Oder geht es wieder ums Geld? Die Strecke über die Lenzerheide ist 9 km kürzer als die direkte Verbindung N29 durch die Schinschlucht. Damit spart man zwar 6.30 CHF LSVA, braucht dafür aber für den Aufstieg wesentlich mehr Treibstoff, zudem benötigte Astrid hat für den kürzeren Weg rund 13 Minuten mehr Fahrzeit.

Es ist schon fast halb 9 Uhr, Astrid ist gut vorangekommen, der morgendliche Stau vor Zürich hatte sich schon vorher abgebaut.

Doch nun stutzt Astrid ein zweites Mal. Truckinfo lenkt sie auf die Sihlhochstrasse statt durch den Üetlibergtunnel auf die Westumfahrung Richtung Bern/Basel. Prompt gerät sie ihn den Stau beim Autobahnende Sihlhölzli.

Nur im Schritttempo geht es mitten durch die Stadt weiter bis zur Hardbrücke und dann weiter via Pfingstweid zum ehemaligen Hardturmstadion und dann wieder auf die Autobahn A1 Richtung Bern/Basel.

Merkwürdig: Truckinfo gibt für die Strecke vom Autobahnende im Sihlhölzli bis zum Anfang der A1 beim Hardturm eine Distanz von 4 km und eine Fahrzeit von 3 Min. – dies entspräche einer Geschwindigkeit von 80 km/h, innerorts!?!

Astrid hat gegenüber der Marschtabelle mittlerweile gut eine halbe Stunde verloren. Nun geht es aber endlich wieder vorwärts über die A1 via Luterbach zur A5 in Richtung Biel/Neuchâtel.

Auf der Raststätte Pieterlen muss Astrid dringend eine halbe Stunde Pause einschalten, denn sie hat die maximale Lenkzeit von 4,5 Stunden schon überschritten. Das Stop ‘n Go in Zürich gilt nicht als Pause.

Astrid nutzt die Rast in Pieterlen, um die weitere Fahrt in Richtung Genf zu studieren und zuckt zusammen. Truckinfo will sie tatsächlich auf der A16 in die Taubenlochschlucht hinauf zum Kreisel jagen und dann über die H6 (Reuchenettestrasse) wieder nach Biel hinunter und von dort entlang dem linken Bielerseeufer.

Für die Strecke vom Taubenlochkreisel bis zum Beginn der N5 beim Gottstatterhaus rechnet Truckinfo mit einer Geschwindigkeit von 60 km/h, obschon auf der Reuchenettestrasse ein Tempolimit von 30 km/h gilt!?!

Astrid beschliesst, sich nicht an die Empfehlungen von Truckinfo zu halten und fährt statt über den Ostast der N5 von Bözingen auf dem direkten Weg durch die Stadt Biel. Damit spart sie weitere 1.60 CHF LSVA-Gebühr.

Am Kreisel bei der Seevorstadt steht ein kleiner oranger Umleitungswegweiser „Neuchâtel“, der in Richtung Bern zeigt. Laut Truckinfo ist der Ligerztunnel wegen Bauarbeiten in der Nacht geschlossen – vermutlich wurde das Schild nur vergessen.

Also fährt Astrid dem See entlang via Twann über die N5 Richtung Neuchâtel.

Sie muss sich sehr konzentrieren, sie hat keine Zeit, die schöne Reb- und Seelandschaft zu geniessen. Sie muss aufpassen, dass keine VelofahrerInnen, die auf dem gelb markierten Radstreifen am Fahrbahnrand unterwegs sind, von ihrem schweren Lastwagen erfasst werden. Zwischen Biel und Twann überholt sie eine Familie mit Kinderanhänger, zwei Rennfahrer, ein Rentnerpaar auf E-Bikes sowie drei weitere RadfahrerInnen. Kurz vor Wingreis biegt noch ein Traktor vor Astrid auf die N5 ein – zum Glück nimmt er die Ausfahrt nach Twann und Astrid kann wieder aufs Gaspedal drücken.

Immer wieder wechselt die zulässige Geschwindigkeit.

Für 38 Sekunden mit Tempo 80, dann wieder 60 km/h, 49 Sekunden Tempo 80, wieder 60 km/h, 42 Sekunden Tempo 80 und wieder 60 km/h.

Auf dieser Strecke gibt es mindestens 3 Radarfallen, wo sich Astrid in Acht nehmen muss.

Mit einer Verspätung von 2 Stunden trifft Astrid in Genf ein, kann abladen, eine kurze obligatorische Pause machen und mit dem leeren Lastwagen zurück in den Berner Vorort fahren, wo sie um 17:00 Uhr eintrifft. Leider hat der Chef schon Feierabend gemacht und ist ins Wochenende gegangen.

Gerne hätte Astrid mit ihm die heutige Fahrt noch besprochen. Sie hat die Nase voll, von den Irrungen und Wirrungen, die sie «dank» Truckinfo erfahren hat. Sie ist zum Schluss gekommen, dass es sich nicht lohnt, für die LSVA-Minderkosten von 3.50 CHF den 5 km kürzeren, aber für Lastwagen viel stressigeren Weg über Biel zu nehmen, statt via Bern zu fahren. Dasselbe gilt auch für die Strecke über die Lenzerheide statt direkt via N29 nach Thusis.

Wie wird die LSVA berechnet:

Rechnungsbeispiel mit dem Lastwagen von Astrid:

Euro5 = 2,69Rp pro Tonne und Kilometer

Der Lastwagen hat eine Bruttolast von 26 t (Tonnen), das heisst pro gefahrenen Kilometer kostet der Lastwagen 26 x 2,69 Rp = 69,94 Rp.

Für eine Strecke von 100km kostet der Lastwagen 100 x 26,9 Rp = 6994 Rp oder knapp 70 SFr.

PS: Viamichelin und Google Maps geben beide eine Differenz von 5 km zwischen Fahrweg via Biel (-) oder Fahrweg via Bern (+) an.